Kooperative der Träume – 13 Jahre Frauenpower in Marokko

Mit dem Auto bin ich im Urlaub in Marokko unterwegs und stutze, als ich am Straßenrand einen Wegweiser zu einer Frauen-Kooperative sehe. Frauen arbeiten in einem muslimisch geprägten Land zusammen in einer Kooperative? Da bin ich aber neugierig, bremse und biege auf den großzügigen Parkplatz.

Ein Café gibt es da und einen Kinderspielplatz. Etwas weiter hinten sehe ich, worum es hier geht: Es wird Arganöl produziert und es werden Kosmetik- Produkte und Nahrungsmittel daraus hergestellt. Aber wo sind die Frauen?

Mariam erklärt mir die Produktionsschritte

Etwas vorsichtig betrete ich das ‚Atelier de Production‘. Frauen sitzen da auf der Erde, entkernen mit der Hand die Argannüsse… Ich finde Mariam, eine 25-jährige Frau im Kittel, die Englisch spricht und mir bereitwillig die Erfolgsgeschichte dieser Kooperative erzählt:

Vor 13 Jahren kam ihre Chefin der Cooperative Marjana, vom Wirtschaftsstudium aus Rabat zurück nach Essaouira, hier in Westmarokko. Diplom in der Tasche und wie nun weiter? Sie wagte das bisher Unmögliche: Sie überzeugte einige Frauen in der Umgebung die Nüsse der Arganienbäume, die nur in Südwest-Marokko wachsen, zu sammeln und gemeinsam zu verarbeiten. Jede sollte von einem Teil des Umsatzes profitieren und ein Teil sollte für weitere Investitionen zurückgelegt werden.

Gegen großen männlichen Widerstand in den Familien setzte sich das Projekt durch. Sowohl alte alleinstehende Frauen als auch junge Mädchen ohne Schulabschluss und verheiratete Frauen arbeiten nun mit und können so mit einem Einkommen das Familienbudget aufstocken oder sich gar gänzlich selbst finanzieren.

Was für ein Quantensprung!

Wo es doch für die Frau im ländlichen Marokko kaum einen Weg in die Berufstätigkeit gibt. Ihre Bereiche sind nach wie vor das Haus und die Kindererziehung.

Der Konkurrenzdruck ist groß: Es gibt mittlerweile ausländische Arganölproduzenten im Land, die viel günstiger, aber nicht so hochwertig produzieren. Das hier ist also eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Aber was mich noch viel mehr begeistert, ist der Spirit, der in den Räumlichkeiten der kleinen Manufaktur herrscht.

Die Nüsse werden über dem offenen Feuer geröstet – von Hand

Wirklich überall ernte ich freundliche Blicke, während ich fotografiere, frage, staune.

Mariam erklärt mir das: Hier sind oft Fernsehteams und Journalisten unterwegs und die Frauen wissen, dass Öffentlichkeitsarbeit für sie der Schlüssel zum Erfolg ist. Und Transparenz und Ehrlichkeit.

Ich durfte wirklich alles anschauen. Alle Etappen der Produktion vom Knacken der Nüsse über das Rösten über dem offenen Feuer, dem Kneten, bis das Öl entsteht, dem Abfüllen bis zum Verkauf der Produkte. Im Verkauf arbeiten Frauen, die Englisch sprechen und offensichtlich eine höhere Schulausbildung genossen haben, in der Produktion arbeiten jene, die ohne Berufsausbildung sind.

Und wirklich alle sind zugewandt und motiviert. Gehen einige in den Essenssaal zur Pause, unterhalten sie sich, am Feuer beim Rösten wird gescherzt. Beendet eine ihren Dienst, werden die Kolleginnen mit Küsschen verabschiedet. Es gibt einen firmeneigenen Bus, der die Frauen von zu Hause abholt und zurückbringt. Es existiert eine Kasse für interne Feiern, damit sich gegenseitig Geschenke gemacht werden können.

Offensichtlich ist das hier mehr als ein Kollegium.

Diese Frauen leben hier einen Traum von Unabhängigkeit und Solidarität.

Mariam erläutert stolz, dass alle Frauen hier den gleichen Stellenwert haben. Es gibt keine Hierarchien, nur unterschiedliche Arbeitsbereiche. Sie selbst hat wie die Gründerin in Rabat studiert und arbeitet nun in der Kampagnenentwicklung und der Öffentlichkeitsarbeit. Von ihrem Lohn unterstützt sie ihre beiden alten Eltern, mit denen sie (freiwillig) eine Wohnung teilt. Sie kann von ihrem Einkommen sogar etwas sparen, sie lebt nach eigenen Angaben ein völlig freies und selbständiges Leben.

Dreimal sei sie bislang verlobt gewesen, diese Verbindungen habe sie selbst aber wieder gelöst, weil der Partner letztlich nicht der Richtige gewesen sei. Dabei lächelt sie vergnügt. Mit 25 Jahren habe sie ja noch jede Menge Zeit – oder ob sie etwa schon älter wirke? Irgendwie finde ich, dass sie sehr reif wirkt. Schließlich hat sie schon einiges erlebt. Ganz ohne elterliche akademische Unterstützung, ihr Vater war Tagelöhner, hat sie sich durch das Bildungsdickicht gekämpft. Dem marokkanischen Bildungssystem stellt sie dabei ein schlechtes Zeugnis aus. Es sind so viele Kinder in einer Klasse des öffentlichen Schulsystems, dass sie ohne elterliche Hilfen kaum vorankommen können. Der Schulerfolg sei maßgeblich vom Geldbeutel und dem akademischen Kenntnisstand der Eltern abhängig. (Das habe ich irgendwo doch schon einmal gehört…)  So enden viele Schulkarrieren ohne Abschluss. Die Mädchen arbeiten dann im Haus oder als Ziegenhüterinnen auf dem Feld.

Nun aber gibt es für diese Mädchen der Region endlich eine Möglichkeit, sich zu entwickeln, selbständig zu leben: die Kooperative. Sie sind nicht mehr darauf angewiesen, einen Mann zu heiraten, der sie versorgt. Sie haben Geld, ihr Leben selbst zu finanzieren. Sie nehmen sich das Recht heraus, aus dem Haus zu gehen, ihren Wirkungsradius zu erhöhen. Auch ihre Freizeit gestalten sie gemeinsam, sie gehen aus, feiern und treffen sich.

Was für ein tolles, gesellschaftsveränderndes Projekt!

Kneten, kneten, kneten, bis endlich Öl entsteht

Ich bin ganz beeindruckt, nicht nur von den schönen Arganöl-Produkten, sondern auch davon, dass einzige kleine Idee Rollenmuster aufbrechen und das Leben von so vielen Frauen verbessern, befreien kann. Auch körperlich behinderte Frauen habe ich gesehen, alle haben hier ihren Platz.

Und das Ganze funktioniert nun schon 13 Jahre lang. Die Idee spricht sich rum. Die Kooperative hat viele Preise gewonnen und ist überregional, sogar international bekannt. Und die Leben von Frauen haben sich nachhaltig verändert. Das Denken der Männer hat sich gewollt oder ungewollt auch gewandelt – einige sind als Security-Bedienstete tatsächlich sogar in der Coop angestellt. Sensationell!

Marokko. Ein Land, in dem ich lernen konnte, dass Veränderung für Frauen möglich ist. Jeden Tag.
Und das Wichtigste ist die Bildung – und Solidarität. Das Wir.

Nur in der Gemeinschaft können wir Frauen die Veränderung stemmen.

Selfie mit Verkaufberaterin und tollen Produkten!

Das habe ich zwar schon öfter gedacht, gelesen und selbst geschrieben, aber hier wird diese Idee lebendig, hier wird sie greifbar.

Ich habe große Lust, mit dieser Idee und diesen Erkenntnissen was anzustellen. Der Gemeinschaftsgedanke geht doch im Hier und Heute oft unter. Jede rockt doch oft ihr Leben allein, im Beruf, in der Freizeit, in der Familie mit kranken Kindern, zu pflegenden Eltern, manchmal auch ohne Familie. Wie cool wäre es, wenn wir von dieser „Coopérative des rèves“ einige Träume abzweigen und sie in unseren Alltag einfließen lassen würden?

Ideen von gemeinsamen generationsübergreifenden Wohnprojekten kommen mir in den Sinn, von gemeinsamem biologischen Gärtnern und Kochen, von der Erweiterung der Familienstrukturen durch Freizeit-Omas und -Opas, von Unterstützungssystemen beim Lernen und Weiterbilden, vom Teilen von Autos, Bohrmaschinen und Rasenmähern…

Ach… Träumen ist ja so toll. Und Träume können wahr werden.

Let’s make them real, ladies!

 

Links zur Kooperative:

Sonja

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