Was wäre wenn… Frauen Weihnachten streiken

Weihnachten liegt hinter uns. Und damit die Zeit, den Lieben ein herrliches Fest zu bereiten.

Plätzchen backen, Wohnung schmücken, Geschenkeliste für Partner*in, Kindern, Enkelkinder, Schwägerinnen, Schwiegermutter, Großvater und Cousinen abarbeiten, Lichterkette und Baum besorgen, Bio-Gans ergattern, Klo putzen und Reiseplanung erstellen. Der alljährliche Marathon ist absolviert, die Zeit, die wir so oft die „stille Zeit“ nennen, die Zeit des Wartens, der Einkehr und der Besinnung ist vorbei. Kommt sie nun endlich, die „ruhige Zeit“?

Für mich beginnt sie jetzt, denn ich komme dazu, Zeitung zu lesen und meine Gedanken zu sortieren:

Am 25. 12. schreibt Margarete Stokowski bei Spiegel online, Frauen sollten statt zu Weihnachten den Erwartungen ihrer Lieben zu entsprechen, sozusagen gleichzeitig Zuckerguss (über die Probleme) und Stahlträger (der Choreografie) dieses Festes zu sein, lieber mal das Lächeln einstellen und streiken. Das fand ich auf den ersten Blick höchst charmant.

Frauenstreik? Coole Sache!

Selten ist das Private so politisch wie Weihnachten. Einfach nicht mehr einkaufen, schenken, lächeln, nicht mehr die Planung schultern, keine Beziehungsarbeit leisten, nicht mehr adventlichen Zuckerguss über familiäre Abgründe gießen.

Ich wage ein Gedankenexperiment:

Nächstes Jahr Ende November werde ich ohne Worte all meine traditionellen Tätigkeiten einstellen. Keinen Stollen backen, keine Krippenfiguren abstauben, keine Fenstersterne aufhängen, Wunschzettel entsorgen. Das hieße auch: Traditionen brechen. Die Liebsten verstören. Oma säße einsam zu Hause ohne Weihnachtslächeln.

Was für eine trostlose Vorstellung! Welche Verwirrung würde ich stiften! Zum Schluss würde ich mir selbst was nehmen.

Und hier liegt meines Erachtens doch der Hase auch sprichwörtlich im Pfeffer. Frauenstreik ist (theoretisch) wirklich eine sehr nachhaltige Angelegenheit, wie würde anschaulicher werden, was Frauen ständig lächelnd leisten, um den Familienfrieden auszubalancieren, ganz besonders zu Weihnachten?

Mit dem Weihnachtsfrieden wäre es dann hundertprozentig schlagartig vorbei. Diskussionen, Streit, Tränen, Anschuldigungen wären vorprogrammiert. Wohlmöglich würde die Gewalt über die Feiertage noch stärker zunehmen als sowieso schon…

Allen würde zwar klar werden: Frauen leisten (nicht nur in der Weihnachtszeit) Übermenschliches, sind die Stahlträgerinnen und verzuckern das Bittere.

Das Ding ist aber leider: Auch ich liebe diese Stimmung, ich plane gerne, ich koche (manchmal) gerne, ich schenke gerne und ich lasse mich liebend gerne überraschen. Nur dass die anderen davon ausgehen, dass ich ihre Story manage und noch dabei lächle, während ich ihre weihnachtlichen Versäumnisse ausbügle.

Verändere ich mein Verhalten, muss ich damit rechnen, dass der Preis hoch ist: Die (Weihnachts-) Harmonie ist futsch.

Ich finde, das zeigt das Dilemma, in dem wir Frauen* verwoben sind. Unser Ziel ist es doch, Emanzipation zu erstreiten und Traditionen in Frage zu stellen. Dazu bedarf es drastischer Maßnahmen, z. B. eines Streiks wie der Frauenstreiktag, der am 8. 3. 19 geplant ist. (https://frauenstreik.org/). Ist ein Generalstreik der Frauen also die Lösung?

In der antiken Literatur machte es uns schon Lysistrata vor: Sie überredete die Frauen Athens dazu, sich ihren Männern sexuell zu entziehen, um sie körperlich und mental zu schwächen und so den Krieg zu beenden. So weit die Fiktion. In der Realität haben es uns die Isländerinnen bewiesen, dass ein Streik recht folgenreich sein kann: Frauen streikten dort 1975. Sie nannten ihren Streiktag jedoch „Ruhetag“ für Frauen. Die Männer mussten die Kinder abholen  und als die Hot-Dogs knapp wurden, ging den Herren der Schöpfung ein Licht auf…

Geblieben ist das Gefühl der Stärke.

Und ein Umdenken der Menschen hat stattgefunden: Eine der Anführerinnen des Ruhetages ist später zur ersten Präsidentin des Staates gewählt worden.

Auch in Spanien gab es im letzten Jahr eine große feministische Streikbewegung: Die Feministinnen des spanischen Generalstreiks von 2108 haben sich zu den Zielen und den Modalitäten eines solchen Streiks ausführlich geäußert. (https://keinemehr.files.wordpress.com/2018/04/wie-streiken.pdf) Ihre Ideen unterstütze ich, insbesondere die dort beschriebene dringend erforderliche Modifikation der Erziehung in Schule und Hochschule, die bislang die partriarchale heteronormative Liebe und die binären Geschlechterrollen reproduziert.

Ja, es gab und gibt sie ja längst, die Frauen, die sich dem Wahn der ewigen Sorgearbeit, des immerwährenden Lächelns verweigern. Ist das also die Lösung, dass Frauen einfach nur noch kämpferischer sein müssen, um ihre feministischen Ziele zu erreichen?

Ich durchdenke so einen Streik für mein Leben:

Mitten in der Arbeitszeit, mitten im Schuljahr, Unterricht ausfallen lassen? Ich als Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule soll also der guten Sache der Emanzipation willen einfach nicht arbeiten gehen? Komisch, dass ich zweifle. Denn es gibt ja ein Streikrecht und niemand stellt in Frage, dass es richtig sein kann, für z. B. eine Lohnerhöhung zu streiken. Trotzdem. Wenn ich ehrlich bin, fehlt mir an dieser Stelle der Mut. Meine Stahlträgerfähigkeiten reichen ausnahmsweise hier nicht aus. Hier wäre nicht nur die Harmonie gestört, sondern auch wäre meine Angst vor Repressalien groß… Es ist fast so wie Weihnachten. Ich will was verändern, allein was fehlt, ist die Courage zur Umsetzung und die Befürchtung, dass ich die Ächtung nicht aushalte.

Ist diese Mutlosigkeit nun ein Zeichen meiner „weiblichen“ Sozialisation oder gar Zeichen, dass ich es mit dem Kampf für Gleichstellung nicht wirklich ernst nehme? Geht es mir ganz am Ende doch zu gut? Welchen Preis bin ich bereit zu zahlen, um Veränderungen zu initiieren? Hätten Frauen in der Vergangenheit nicht mutig Leib und Leben riskiert, dann hätten wir nicht seit über 100 Jahren das Wahlrecht für Frauen.

Reicht es überhaupt aus, an einem Tag  nicht zu arbeiten, an einem Tag die Kinder nicht zur Schule zu begleiten? Ist es sinnvoll, andere Menschen für einen selbst an diesem Tag die Sorgearbeit übernehmen zu lassen? Ich bezweifle, dass das der nachhaltigste Weg zum Ziel ist. Es scheint mir nur eine Verschiebung des Problems zu sein.

Und trotzdem: Das Ziel muss doch sein, nicht immer nur auf die Misere der Ungleichheit hinzuweisen, sondern mal konkret aufzuzeigen, dass 50% der Menschen in unserem Land mehr als 50% der bezahlten und unbezahlten Arbeit erledigen, dafür aber weder Anerkennung noch gerechte Bezahlung bekommen.  Abgesehen mal davon, dass sie immer noch in den Arbeitsbereichen unterwegs sind, die weniger gut bezahlt werden (Pflege, Soziales, Pädagogisches, Ästhetisches) oder eben gar nicht entlohnt werden: Care-Arbeit in der Familie und im näheren Umfeld. Ihre Arbeit bleibt oft unsichtbar, auch weil sie mit einem Lächeln erledigt wird.

Streik, das hieße aber auch sich auf vielfältige andere Weise zu „entziehen“:  Wie wäre es z. B., den Rollenerwartungen nicht zu entsprechen? Auf dem Bürgersteig nicht zur Seite treten, wenn eine Horde Kerle breitbeinig den Weg besetzt. Keine rosa verpackten Überraschungseier für „Mädchen“ mehr zu kaufen. Überhaupt auf überteuerte „Frauenprodukte“ zu verzichten, wie z. B. die in rosa Plastik angebotene Handcreme für trockene Spülhände oder noch „krasser“ auf das Färben der ergrauten Haarpracht zu verzichten. Frei nach dem Motto: „Grey is beautiful!“

Diese Beispiele machen deutlich, dass ein Streiktag vermutlich nicht die Wende bringen wird. Zu komplex sind die Strukturen, auch die ökonomischen, die sozialen Beziehungen, in denen wir uns befinden, die Rollenerwartungen, denen wir nur mit viel Geschick entkommen.

Überhaupt: Einen Tag auf ein antrainiertes, unterwürfiges Lächeln dem Chef gegenüber zu verzichten, mag funktionieren, aber auf Geschenke  unterm Weihnachtsbaum zu verzichten,  bedeutet doch in einigen Fällen auch den Verzicht auf die Möglichkeit, sich und andere froh zu machen. Und auch hier gilt es fein zu unterscheiden: Pflicht oder Kür? Selbstgewähltes oder fremdbestimmtes Handeln?

(Streik-)Aktionen können immer nur auf eine Problemlage aufmerksam machen.

Ein Frauenstreik würde eine ökonomische Strahlkraft entfalten, die sicher interessant wäre. Trotzdem liegen die Ursachen doch tiefer und die Veränderung der Strukturen kann nicht den Frauen im Privaten aufgebürdet werden. Unser Handeln ist politisch, klar, aber die großen Veränderungen, wie z. B. die ökonomische Neuwertung von Pflege- und Care-Berufen und die Vergütung von Organisations-,Beziehungs-, Erziehungs- und Pflegearbeit im häuslichen Bereich müssen deutlich aufgewertet werden. Hier bedarf es großer struktureller Maßnahmen im Bereich der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik (Rente, Ehegattensplitting, Garantieleistungen des Staates ohne Bedingung und Ähnliches). Die Liste der Forderungen ließe sich endlos verlängern.

Ich denke, die Politik ist gefragt. Sie muss Pflöcke einschlagen und Gerechtigkeit und Solidarität den Weg bereiten, und zwar mit Programmen, die die Basis mitbestimmt und in die Frauen sich einbringen.

Das Land Berlin z. B. will den 8. März, den Frauenkampftag,  ab 2019 zum Feiertag erklären. Ist das ein gangbarer Weg oder nur Symbolpolitik? Auch an einem Feiertag bleiben doch häusliche Sorge- und Beziehungsarbeit, Zuwendung,  die unbezahlte Arbeit der Stahlträger*innen notwendig.

Dieser Tag sollte nicht einfach nur frei von Berufsarbeit sein, sondern sollte Anlass geben, auch inhaltlich weiterzudenken. Wie können wir die Gesellschaft gender-gerechter machen? Wie können wir als Gesellschaft den Weg der kämpfenden Frauen, der vor mehr als hundert Jahren begann, weiterführen?  (Utopie an) Vielleicht wäre es eine interessante Idee, den nur den Frauen staatlicherseits einen Feiertag einzuräumen, um sich des Erkämpften bewusst zu werden und neue Ziele zu ermitteln, aber auch sich auszuruhen und mit anderen Frauen ins Gespräch zu kommen. Die Männer hingegen könnten an diesem Tag in die Doppel- und Dreifachbelastung hineinschnuppern und einen Perspektivwechsel erleben. Das wäre doch ein Fest! (Utopie aus)

Nun heißt es aber, erst einmal die Reste des zurückliegenden Festes zu beseitigenden (Weihnachtsbaum plündern) und die nächste Party zu planen.

Silvester steht direkt vor der Tür.

Allerdings: Ohne traditionelle Rituale,  Menüplanung und Großputz.  Keine Choreografie aus Stahl und Zuckergussakrobatik. Ich werde tanzend das neue Jahr erobern und lächeln, wann ich es will! Und auf der Tanzfläche werde ich dann aus dem Gefühl des Übermuts wieder mal zu der sicheren Erkenntnis kommen, dass starke Frauen den Takt angeben müssen!

So sei es!

Willkommen 2019!

Sonja

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.