Feminismus im Kopf – in jedem!

Feminismus – brauchen wir das heute überhaupt noch? So ein abgedroschenes Wort, bei dem viele direkt die Beine in die Hand nehmen oder ihr Gegenüber milde belächeln und das Gespräch schnell auf andere Themen lenken. Ein Wort, mit dem wir mutige Aktivistinnen verbinden, die oben ohne vor dem Kanzlerinnenamt protestieren. Ist das nicht zu übertrieben für uns Frauen im Alltag? Finden wir uns und unsere Gleichstellung wirklich darin wieder?

Diese Fragen gehen mir schon lange im Kopf herum und eine direkte Beantwortung scheint jedes Mal komplexer und unmöglicher zu werden.

Gedanklich mache ich eine Reise zurück.

Wann begegneten mir das erste Mal unterschiedliche Ansprüche an die beiden Geschlechter?
Bewusst wurde es mir wohl erstmalig im ungefähren Alter von vielleicht 10 Jahren, als ich abtrocknen sollte und ich nachfragte, warum nicht auch mein Bruder. „Das ist Arbeit für Mädchen.“ hieß es. Überflüssig zu sagen, dass ich damals nicht abtrocknete… 😉

Als Baujahr `82 habe ich mich nie in meinem Frauendasein eingeschränkt gefühlt und für selbstverständlich betrachtet, dass ich alles machen konnte, wonach mir der Sinn stand. Ein wenig aus der Bahn warf mich dann allerdings ein bestimmtes Probespiel in meinem damaligen Dasein als klassische Musikerin.

Solche Probespiele für Stellen in Orchestern finden (in den meisten, bis heute nicht in allen Orchestern!) in der ersten Runde hinter dem Vorhang statt, um Vorteilsnahme durch Bekanntschaften etc. zu vermeiden. Nach dem ersten, im Orchester durch Handzeichen abgestimmten, Ausschluss lüftet sich der Vorhang dann meist für Runde 2 und 3. Tatsächlich kam ich nun bis in die letzte Runde und verpasste im Stechen mit genau einer Stimme Unterschied ganz knapp die ausgeschriebene Stelle. Für mich war das in Ordnung, ich begründete mir das selbst mit kleinen Unsicherheiten.

Es dauerte nicht lang und ich bekam einen Anruf, dass die „Gewinnerin“ die Arbeit nicht antreten und ich, aufgrund der hohen Stimmenzahl, ebenfalls die Stelle haben könnte. So trat ich diese nun nach einiger Zeit an. Schon am ersten Tag kam eine ältere und sehr nette Geigerin auf mich zu, die mir im Vertrauen erzählte, sie hätte für mich gestimmt, aber die Männer, naja, die haben sich da sehr von den Äußerlichkeiten beeinflussen lassen.

Oha, starker Tobak!

Hier muss vielleicht erwähnt werden, dass die andere Dame aus dem Stechen einer exotischen Schönheit entsprach und gertenschlank war. Das bin ich nicht.

Bis dato hatte ich nie Zweifel, dass ich einfach nur fachlich überzeugen musste. Dann so unvermittelt zu hören, dass ich hier einfach nur aufgrund meiner Erscheinung gescheitert war, ließ mich nicht los. Von diesem Moment an fing ich an zu beobachten und zu hinterfragen. Wann höre ich jemandem gerne zu? Welche ersten Eindrücke hinterlässt ein Mensch?

Was für Menschen bekleiden „höhere“ Posten?

Meine gewonnenen Erkenntnisse waren niederschmetternd.

Visualisieren wir uns beispielsweise einmal die derzeitige Bundesregierung, schauen wir uns die meisten dort vertretenen (immer noch zu wenigen) Damen an und vergleichen sie mit den Herren. Während es bei den Männern scheinbar wenig auf Äußerlichkeiten ankommt, finden wir vor allem schlanke und gut aussehende Frauen. Warum ist das so? Haben diese Frauen mehr im Kopf oder ein besseres Durchsetzungsvermögen? (und sind hohe Schuhe für die Damen eigentlich Pflicht?!?)
Ich beobachtete meine eigenen Reaktionen und stellte fest: tatsächlich! Auch ich bewerte Frauen ganz unbewusst anfangs erstmal nach ihrem Äußeren. Frau XY wird eingeblendet und ich nehme als erstes ihr Outfit wahr. Sitzt die Frisur? Wo gibt es eventuell ein Fettpölsterchen zuviel? Wirkt sie erschöpft?

Normalerweise passiert das im Unbewussten allein, sind mehrere Menschen dabei, werden untereinander gern auch mal Kommentare dazu ausgetauscht. Der kleine, feine Unterschied: dieses Kopfkino findet beim Betrachten des Mannes gar nicht oder nur in ganz kleinem Ausmaß statt.


Entsetzt war ich dann vor allem in der letzten Zeit im Social Media-Bereich. Gab es Livestreams der Staatskanzlei, wurde in den Kommentaren darunter nicht etwa inhaltlich diskutiert. Nein, die „Küstenbarbie“ wurde auf unflätigste Weise niedergemacht und auf einfachste Attribute reduziert. Und das Schlimmste dabei – Frauen machten auf diesem Niveau fleißig mit. „Küstenbarbie“, dieser Begriff kursiert ganz selbstverständlich in unserem Bundesland und wird abfällig benutzt. Man mag von besagter Frau halten, was man möchte. Aber was hat sie in diesem Falle verbrochen, außer blond und schlank zu sein und auf leitendem Posten zu sitzen, um auf so einen abwertenden Begriff reduziert zu werden? Es ist eine bodenlose Frechheit und die Tatsache, dass ihre Geschlechtsgenossinnen sie auf selbige Weise reduzieren, ein Armutszeugnis für alle Frauen.

Betreiben wir Frauen da nicht reinsten Antifeminismus?

Wenn wir Frauen uns gegenseitig auf solch beschränkte Attribute reduzieren, welche Signale sendet das an die Männerwelt? Um bei besagtem Beispiel zu bleiben – in diesen Livestreams wurde der Herr Kollege selten bis nie auf sein Äußerliches reduziert. Darüber werden keine Worte verloren. Ob Bierbauch, Glatze, klein, dick, Narben, Falten oder welch Schönheitsmakel auch immer. Bei Männern setzen wir automatisch andere Maßstäbe.

Brauchen wir also Feminismus?

Unbedingt! Aber in viel feinerem und intensiveren Maße, als das Wort glauben lässt. Feminismus fängt im Kopf an – in jedem einzelnen! Denn hier gilt es Denkstrukturen aufzubrechen. Niemand von uns ist davor gefeit seine GegenüberIN vorschnell abzuurteilen.

Wir Frauen sollten an uns arbeiten, uns hinterfragen, uns hundertprozentig offen begegnen und vor allem unterstützen. Es ist manchmal gar nicht so leicht, seine eigenen Gedanken zu reflektieren und gegen den damit einhergehenden Automatismus anzuarbeiten. Aber es lohnt sich. Und ich finde, es sollte immer wieder thematisiert werden, dass diese Oberflächlichkeiten eben nicht hinzunehmen sind. Was den Social Media-Bereich angeht, so bleibt uns nur Hatespeech keine Kraft zu geben. Beachtet sie nicht, dann bekommt sie die wenigste Aufmerksamkeit und verschwindet schnell im Nirwana! Setzt lieber positive eigene Kommentare und reagiert auf diese, die Kraft spenden und den betroffenen Damen signalisieren:

Wir sehen dich! Wir hören dich! Wir achten dich!

Damit wir irgendwann auch einmal vom hellen Geist der kleinen, dicken Luise in der Bundesregierung profitieren dürfen oder die sprachtalentierte Martha mit dem großen Muttermal im Gesicht die Tagesschau moderieren darf.
Und damit die Männerwelt jede einzelne von uns zweifellos als das wahrnimmt, was sie ist. Ein gleichwertiges Gegenüber.

Bild mit verschieden gestalteten Symbolen für das weiblcihe GEschlecht

Cindy

3 Kommentare

  1. Sehr wichtiger Text! Wir sollten an uns selber arbeiten, unsere eigene Sicht auf andere (Frauen*) reflektieren und einander unterstützen, wann immer wir können. Die eigene Schere im Kopf muss weg, und zwar so schnell wie möglich. Danke Cindy, für deine Anregungen.

  2. Ich will nicht verhehlen, dass Mann seine/n Gegenüber oftmals auf den 1. Eindruck reduziert….und das ist nun mal der äußere Eindruck. Ich war jahrzehntelang Personalleiter in einem Großunternehmen und ja, auch ich musste mich immer wieder hinterfragen, ob ich mich zur sehr vom 1. Eindruck habe leiten lassen. Mann kann daran arbeiten, aber viele tun es einfach nicht und dann kommt das heraus, was Du oben beschrieben hast.
    Bei neuen Mitarbeitern/innen z.B. dauert es mitunter eine ganze Weile bis Stärken und Schwächen offensichtlich werden und man feststellt, ob eine Einstellungsentscheidung richtig war oder nicht. Die „Barbies“ haben dabei oftmals die Probezeit nicht überstanden.

    Ich hätte mir des öfteren gewünscht, wenn Bewerberinnen mit mehr Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein aufgetreten wären. Jetzt kann man die Frage stellen, ob das in der Natur der Frau liegt, nicht so dominant und selbstbewusst rüberzukommen wie das den meisten Männern (oftmals leider auch total übertrieben und sinnfrei) scheinbar nicht schwer fällt. Da kann Frau noch zulegen und „jeder ist letztendlich so gut, wie er/ sie sich verkauft“.

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